GerichtsurteilNur Gesundheitszustand von Assange steht seiner Auslieferung entgegen

Vor dem Gericht in London brach Jubel aus, als die Nachricht ankam, dass Julian Assange nicht in die Vereinigten Staaten ausgeliefert wird. Aber es ist nur ein Etappensieg, zudem einer mit fadem Beigeschmack. Denn nur sein kritischer Gesundheitszustand und die für ihn vorgesehenen drakonischen Maßnahmen in US-Gefängnissen haben die Auslieferung verhindert. Ein Kommentar.

Protestierende fordern Freiheit für Julian Assange. CC-BY-NC 2.0 Assemblea Nacional Catalana

Das zuständige Gericht in London hat heute entschieden, dass Julian Assange durch das britische Auslieferungsabkommen mit den Vereinigten Staaten nicht geschützt sei. Was ihm seitens des US-Justizministeriums vorgeworfen werde, gehe über journalistische Tätigkeiten hinaus, er habe sich auch als Hacker betätigt. Das Gericht erkannte gleichwohl an, dass bei dem Inhaftierten eine Depression und eine Form von Autismus diagnostiziert wurde. Daher bestünde bei einer Auslieferung ein hohes Suizidrisiko. Dies sei insbesondere deswegen kritisch, weil anzunehmen sei, dass die US-Seite sogenannte „Special Administrative Measures“ (SAMs) anwenden werde. Diese Maßnahmen beschränken die Freiheiten von Gefangenen drastisch, sogar bei der Kommunikation mit ihren Anwälten.

Im Urteil stellt das Gericht fest, dass die SAMs – anders als im britischen Gefängnis – für Assange strenge Restriktionen der Kontakte zu anderen Menschen bedeuten würden („severely restrict his contact with all other human beings“). Das gelte selbst für Familienmitglieder. Auch sei dann gar keine Kommunikation mit anderen Gefangenen mehr möglich („absolutely no communication with other prisoners“), er müsste selbst die Zeit außerhalb seiner Zelle allein verbringen. Aufgrund seines psychischen Zustands („mental condition“) sei ihm eine Auslieferung in solche Bedingungen nicht zuzumuten.

Seine Gesundheit und sein Suizidrisiko und damit letztlich die unmenschlichen US-Inhaftierungsbedingungen werden vom Gericht also als Grund für eine Ablehnung der Auslieferung von Assange herangezogen. Die US-Seite kündigte umgehend an, gegen das Urteil vorgehen zu wollen. Dass der Fall in die nächste Instanz geht, dürfte damit sicher sein.

Die wichtigen Fragen, ob Assange ein Journalist ist und ob er aus politischen Gründen verfolgt wird, bleiben weiterhin offen. Eine bemerkenswert breite und weltweite Phalanx an Unterstützern, dabei insbesondere Journalistenverbände, hatte sich vor dem heutigen Urteil für Assange und für die Pressefreiheit starkgemacht: Die Vorwürfe seien haltlos und müssten fallengelassen werden. Reporter ohne Grenzen übergab mehr als einhunderttausend Unterschriften an die britische Regierung, um den Protest gegen eine Auslieferung des Wikileaks-Kopfes zu betonen und seine Freilassung zu fordern.

Nicht das letzte Wort

Assange wird vom US-Justizministerium vorgeworfen, in siebzehn Fällen gegen den Espionage Act verstoßen zu haben und sich in einem Fall zu einer strafbaren Handlung verabredet und dabei geholfen zu haben, einen Computer zu hacken, was ebenfalls unter den Espionage Act fiele. Liest man die Argumente der US-Seite, so wird Assange im Kern als verbrecherischer Hacker dargestellt. Dass er ein typisches journalistisches Profil eines Herausgebers hatte und schon in der Selbstbeschreibung von Wikileaks mit dem starken Fokus auf Transparenz das Handeln im öffentlichen Interesse herausgestellt ist, wird geflissentlich ignoriert.

Das Urteil der vielfach kritisierten Richterin Vanessa Baraitser schlägt sich in der Sache auf die US-Seite. Denn wenn der Gesundheitsaspekt nicht wäre, stünde der Auslieferung aus ihrer Sicht nichts entgegen. Aber mit Sicherheit hat sie nicht das letzte Wort zu diesem Fall gesprochen. Denn dass entweder Assange oder die US-Seite gegen das Urteil in die nächste Instanz ziehen würden, war bereits vor der heutigen Entscheidung klar. Das nächste Gericht wird sich also der Frage, ob mit Assange quasi der Journalismus mit auf der Anklagebank sitzt, nochmal stellen müssen.

Dass Assange als Journalist statt als Whistleblower angesehen werden sollte und dass er typische journalistische Tätigkeiten ausübte, hatten verschiedene Zeugen in der Anhörung im September deutlich gemacht. Gerade die Zusammenarbeit mit Chelsea Manning, die ihm zum Vorwurf gemacht wird, zeigt das: Sie war die Whistleblowerin, die Dateien aus den Armee-Computern schmuggelte und an Wikileaks sendete. Assange hat diese Informationen gesichtet, sortiert, veröffentlicht und dabei klassische Tätigkeiten eines Herausgebers übernommen. Das ist doch der Kern journalistischer Arbeit: Informationen sammeln, bewerten und der Öffentlichkeit zur Verfügung stellen.

Kein Wunder, dass Wikileaks und Assange in den vergangenen Jahren mit Journalistenpreisen fast schon überhäuft wurden. Denn der radikale Ansatz von Assange hat ihm zwar viele Feinde gemacht, aber seine journalistische Leistung wurde weithin anerkannt. Das Ziel von Wikileaks, nämlich Gerechtigkeit durch Transparenz, sei „in der ältesten und besten Tradition des Journalismus“, schrieb die Jury, als Assange 2011 den renommierten Martha-Gellhorn-Preis erhielt.

Kein Held, nur Journalist

Julian Assange wusste immer, mit wem er sich anlegte: mit den Mächtigen, mit den einflussreichen Politgrößen, spätestens seit „Collateral Murder“ vor allem auch mit den Militärs und Geheimdiensten der Vereinigten Staaten. Dass sich in diesen Kreisen zu wenige an Recht und Gesetz gebunden fühlen, ist keine Neuigkeit. Dass sie aber so eklatant und in aller Offenheit mit rechtsstaatlichen Prinzipien brechen, macht dennoch nachdenklich und besorgt.

Assange mag für manche kein Held sein, aber der Verräter, als den ihn die US-Seite darzustellen versucht, ist er mit Sicherheit nicht. Für das Veröffentlichen von Dokumenten, die Kriegsverbrechen aufzeigen und die Lügen als solche belegen, sollte er nicht weiterhin wie ein Schwerverbrecher weggeschlossen werden dürfen. Dass er politisch verfolgt wird, ist so offenkundig, dass die heutige Entscheidung kein Grund zur Freude sein kann.

25 Ergänzungen

  1. Insgesamt ein Armutszeugnis für die Demokratie, die England mal versucht wurde darzustellen.

    Ich würde ja die Goodies im Brexit Deal anfechten, da Journalismus ein Standbein der Demokratie sein sollte, und somit erst demokratische Zugeständnisse einzulösen sind, bevor wir unsere Demokratien weiteren Schaden nehmen lassen. Wer mit Europa zu frei interagiert, sollte demokratiespezifisch eine Richtung haben und halten müssen.

    Ist natürlich insofern fragwürdig, als dass wir selbst Demokratieabbau als Programm in Regierung und übergeordnetem Bündnis implementiert haben.

  2. Kommt Assange jetzt frei oder können die Briten ihn auch während der Berufungsverhandlung weiter einsperren?

    1. Plus die Möglichkeit der Überwachung und Fussfesselung, falls nicht eingesperrt.

      Es sind ja allerlei Szenarien offengehalten, nur nicht das mit der wehrhaften Demokratie ;).

      1. Fußfesseln wären keine weitere Einschränkung für Assange. Wenn er frei käme, würde die CIA ihn sowieso rund um die Uhr überwachen. Das hat sie schließlich auch in der Botschaft getan.

        1. Ja klar… gemeint war wohl eher, dass die ihn auch „laufen lassen können“.

          Auf „freiem Fuß“ ist man dann im Zweifel durchaus gewissen Kräften ausgeliefert, sollten die Interesse an der Situation haben.

          Eine Warnung an Macht und Einfluss sollten eigentlich die Zombiehorden sein, die etwas altes zurückhaben wollen, was es nie wirklich gab. Auf Hybris basierend könnte man meinen, die Situation ja selbst gebaut und unter Kontrolle zu haben, man kennte es doch von früher. Da muss Übersicht und Abstraktion hin, das kann alles noch viel umfassender abfackeln, ohne Fokus auf bestimmte Bevölkerungsgruppen. Es gab zu fast keiner Zeit eine stabile Situation, da immer fast vollständige Ausbreitung zuzüglich massiver Ausbeutung von bald nicht mehr vorhandenen Resourcen oder Menschen die Grundlage relativer Stabilität in einem Konkurrenzbasierten Haifischsystem darstellte. Das Kapitänsbild passt vielleicht noch am ehesten, allerdings sind die Naturgewalten noch schlechter verstanden als wie bei der realen Seefahrt. Daher mit Verweis auf das Rückkopplungsprinzip und den Informationsübertrag an sich: Ahoi!

          1. Einer der nächsten drei Taifune heißt übrigens „Planetbreaker“. Na, wer möchte Wettermacher sein? Vielleicht jemand aus dem mittleren Management? Nur zu, trefft eure allerwertigsten Entscheidungen…

    2. Hier wird heute (06.01.20) ab 11 Uhr CET der Live-Stream zu den Protesten vor dem Westminster Magistrates Court sein: https://www.youtube.com/SubjectAccess

      Das hier ist der (Ex-)Live-Stream vom 04.01.20:
      https://www.youtube.com/watch?v=ddaJE_qfDvI

      Schaut auch, wie die Polizei die Demonstranten behandelt (Rebecca Vincent von Reporters without Borders sollte ebenfalls verscheucht werden – sie hatte sich als erste in die Schlange gestellt für die Public Gallery – ab 4 Uhr morgens).

  3. Schön, dass letztlich der offensichtlich doch noch entstandene weltweite öffentliche Druck nun erst einmal dazu geführt hat, dass Julian Assange nicht direkt auf dem ‚Scheiterhaufen‘ landen wird.
    Jedoch: Er muss sofort frei gelassen werden. Sein Gesundheitszustand (der eines Folteropfers) und sein Familienstand (2 kleine Kinder) lassen nichts anderes zu. Und selbstverständlich: Er muss dauerhaft sicheres Geleit erhalten.
    Mexico bietet Asyl.
    -Warum steht eigentlich niemand in Europa (EU) auf und bietet dies? (das ist natürlich, aber nicht nur, eine rhetorische Frage).

    1. Sorry, aber dann verstehst Du die Idee/Taktik dahinter leider nicht:

      Sowohl für Biden, als auch für Trump ist es schwierig (trotz Geheimdienste), die Reaktion des anderen auf diese Bitte einzuschätzen. Und was glaubst Du wohl, wer dumm aus der Wäsche schauen wird, wenn der andere auf diese Bitte eingeht? Capito?

      1. Das ist nur ein Fanbespassungsevent mit Kapitolserstürmung, es wird einfach nur ein Machtübernahme gespielt. Es gibt überhaupt keinen Grund zur Beunruhigung, die meißten können das Wort „Capitol“ nicht einmal buchstabieren!

        Na gut, eine Frau soll bis jetzt durch Schüsse verwundet worden sein, dabei wird es sich wohl um eine Überreaktion durch die Sicherheitskräfte gehandelt haben.

  4. „Die wichtigen Fragen, ob Assange ein Journalist ist und ob er aus politischen Gründen verfolgt wird, bleiben weiterhin offen.“

    Na sicher. War mir schon klar, als ich die ersten Worte bei Tagesschau24 nach Erföffnung der Verkündung hörte – das Urteil wurde erst später bekannt.

    Das wird auch weiter so bleiben.
    Wohl bis der Fall vor den EGMR kommt. (Zwischenfrage: Oder geht das nicht?)
    Die Briten werden sich hüten, jetzt, nachdem der europäische Wirtschaftsraum mit Hürden versehen ist und die ersten Auswirkungen erkennbar sind, sich auch noch mit den Amerikanern anzulegen.

    Und was für die Zivilgesellschaft offensichtlich schlimm wär, gilt erst recht für die Geheimdienste…

    1. Der Fall kann nach Ausschöpfung aller britischen Rechtsmittel beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte landen.

        1. Der Fall kann aber nur vor dem EGMR landen, wenn Assanges Auslieferung nicht schon von britischen Gerichten in letzter Instanz abgelehnt wird. Ein Urteil des EGMR, in dem steht, dass menschenrechtliche Grundstandards in US-amerikanischen Gefängnissen nicht eingehalten werden, dass die USA wesentliche Verfahrensgarantien verletzen, dass Assange klare Anzeichen psychischer Folter zeigt, möglicherweise sogar, dass das Verfahren ein politisches Strafverfahren ist, kann niemand in den USA und auch kein europäischer Transatlantiker ernsthaft wollen, zumindest wäre das meine naive Einschätzung. Da fährt man mit so einem unterinstanzlichen Urteil wie jetzt, das „nur“ Assanges Suizidgefahr als Grund gegen eine Auslieferung anführt, doch deutlich besser.

          Gleichzeitig würde ich die vorsichtige Prognose wagen, dass der EGMR angesichts des eindeutigen Beschlusses des Europarates und der Äußerungen des UN-Folterbeauftragten kaum eine andere Möglichkeit hat, als die Auslieferung zu verbieten.

          Das legt für mich den Schluss nahe, dass die Motivation der USA, das Verfahren weiter zu betreiben nicht sein kann, eine Auslieferung tatsächlich noch zu erreichen. Es geht also wohl eher um Stärke-Demonstration, Einschüchterung/Abschreckung und das, was jetzt passiert: Dass Assange noch länger in Isolationshaft sitzen muss und dadurch eine Ersatzbestrafung erfährt.

          1. @Lennart Ich glaube Du verkennst die Position Assanges gegenüber NSA/USA und GQHR/GB. Beide Staaten gelten als Hardliner und beiden Geheimdiensten hat er durch die Veröffentlichungen zu sehr geschadet. Keine Richterin in GB oder irgendeine westliche Regierung wird da irgendeinen Finger in der Sache krumm machen und sich selber gegenüber den USA in die Nesseln setzen. Man wird ihn „gesund pflegen“, um ihn anschließend in den USA „hinzurichten“. Es bedarf jetzt nur noch eines medizinischen Gutachtens. GB hängt da selbst viel zu tief mit drin.

            Der UN-Sonderberichterstatter für Folter, Nils Melzer, warnte vor einem Präzedenzfall, „der investigativen Journalisten den Schutz der Pressefreiheit verweigert und den Weg für ihre Strafverfolgung unter dem Vorwurf der Spionage ebnet“. Das Urteil vom Montag sei gefährlich. Es gehe nur noch um die Frage, ob Assange fit genug sei, um die Haftbedingungen in den USA zu erdulden, sagte Melzer einer Mitteilung zufolge.“

            https://www.dw.com/de/gericht-lehnt-freilassung-von-julian-assange-ab/a-56143862

  5. „Gesundheitszustand von Assange steht seiner Auslieferung entgegen“

    Hoffentlich ist zumindest das auch nur irgendwie ehrlich gemeint und gehört nicht zu dem bisherigen grundverlogenen Programm mit dem Ziel, ihn weiterhin zu isolieren und auszuschalten.

  6. Liebe Constanze,

    mache Deinen Einfluss geltend und schreibe etwas Neues(Altes) zu Assange!

    Schreibe-schreibe-schreibe.

    Danke!

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